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Du musst dein Leben ändern

Autorenbild: Jan SchäfJan Schäf

Aktualisiert: 14. Okt. 2022

Monika Maron sucht in „Artur Lanz“ nach dem Helden – dem männlichen Helden


Eine Rezension von Jan Schäf


Ein Mann geht mit seinem Hund neben einem Maisfeld spazieren. Der Hund büxt aus und verschwindet mit der Leine am Hals im Feld. Der Besitzer des Hundes, Artur Lanz ist verzweifelt. Zurecht, könnte sich die Leine doch in den Halmen verfangen und den geliebten Hund erdrosseln. So läuft er, entgegen der Annahme den Hund im Feld überhaupt finden zu können, hinterher, ruft und sucht. Er findet den Hund halb erstickt, trägt ihn hinaus und ist, seit Langem, wieder einmal ein glücklicher Mensch. Er fühlt sich als Held. Artur Lanz beschließt, sein Leben zu ändern.





In Rilkes Gedicht „Archaïscher Torso Apollos“ heißt es beim Anblick ebendiesen Torsos: „und bräche nicht aus allen seinen Rändern / aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.“


Du musst dein Leben ändern! Man kann sich bei Rilkes Gedicht einen Mann mittleren Alters vorstellen, der vor dem Torso einer antiken (männlichen) Statue steht, dann an sich herunterschaut, dort blinkt ein Wohlstandsbäuchlein, das in einem äußerst unguten Verhältnis zu den dünnen Armen steht. Und plötzlich ist da dieser Gedanke: Du musst dein Leben ändern. Manchmal kommt einem einfach diese Idee. Unwillkürlich.


Doch, es bleibt oft beim Vorsatz. Was aber ist, wenn es einen tief ergreift, wenn einem plötzlich bewusst wird, wie falsch man in den letzten Jahren gelebt hat. Oder, wie feige. Artur Lanz wird dies bewusst. Bewusst wird ihm auch, in dem Moment, als er seinen Hund gerettet hat, dass er seine Frau viel weniger liebt als seinen Hund, ja, dass er sie eigentlich überhaupt nicht mehr liebt. Er trifft eine Entscheidung und wird sein Leben ändern.


Dadurch kommt es dicke. Wie immer, wenn man die Dinge auf den Kopf stellen will. Scheidung, Krankheit, Einsamkeit. So findet ihn die Erzählerin Charlotte Winter, eine Frau in den späteren Jahren. Sie ist Autorin und zunächst fasziniert von dem Mann, der da traurig und verlassen an einem Berliner Platz den Trinkern bei ihrem Treiben zusieht und ihnen zugesteht, ein besseres Leben als er selbst zu führen.


Diese Ausgangssituation macht Monika Maron zum Auftakt ihres Romans „Artur Lanz“. Unser Hauptheld bekam den Namen von seiner in die Artus-Sage verliebten Mutter. Sie hoffte und erzog ihn dahin gehend, dass der Junge nicht nur den Namen des Helden trägt, sondern dessen Eigenschaften gerecht wird. Geklappt hat es nicht, Artur Lanz ist ein durchschnittlicher Mensch und ein durchschnittlicher Mann geworden. Von einem Helden, wie ihn sich die Mutter vorstellte, ist er weit entfernt. Doch nun, um die 50, soll das Heldentum beginnen. Wie er das bewerkstelligen soll, weiß Artur Lanz noch nicht und dieses Nichtwissen bringt ihn in die Bredouille.


Im Umkreis von Charlotte Winter reagiert man mit Unverständnis auf das Thema Held, auf welches sie durch Artur Lanz gestoßen ist. Man lebe ja, meint ihr im linksliberalen Akademikermilieu angesiedelter Bekanntenkreis, in einem postheroischen Zeitalter. Das mag für dieses Umfeld vielleicht stimmen, doch die Welt endet bekanntlich nicht am nächsten Bioladen. Marons Roman hält so manchen Seitenhieb gegen dieses Milieu bereit, das sich gemütlich in Gründerzeithäusern eingerichtet hat. Meist mit gut dotierten Jobs in staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen. Nun, schon seit seinen Anfängen hat das Bürgertum, ob nun konservativ, liberal oder linksliberal, sich seine ganz eigene Welt geschaffen. Man rümpfte die Nase über alles Nassforsche, Laute, Ungepflegte, vermeintlich Ungebildete. Man denke nur an Wagner aus Faust, dem Prototyp eines Bürgers:


„Mit Euch, Herr Doktor, zu spazieren,

Ist ehrenvoll und ist Gewinn;

Doch würd' ich nicht allein mich her verlieren,

Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben

Ist mir ein gar verhaßter Klang;

Sie toben wie vom bösen Geist getrieben

Und nennen's Freude, nennen's Gesang.“


Der Stellenwert von Bildung hat bis heute einen hohen Stellenwert in diesem Milieu. Das hat das Bürgertum seit ungefähr 250 Jahren zu seinem unvergleichlichen Erfolg geführt. Die Attribute sind heute fast die gleichen, nur statt einer gediegen konservativen Weltsicht, herrscht heute in weiten Teilen eine gediegen linke, besser neulinke Weltsicht vor, die inzwischen den Namen „Woke“ (Erwacht) trägt.


Und genau von dieser Seite ist Monika Maron ins Visier geraten. Die streitbare Autorin verließ nicht freiwillig nach über 40 Jahren ihren Verlag. Dieser verlängerte den Vertrag der 80-Jährigen nicht mehr. Ihre Positionen im Bereich Umgang mit dem Islam, Einwanderung und ihre Zusammenarbeit mit dem Buchhaus Loschwitz, das die Reihe mit dem provokanten Namen „Exil“ für im Mainstream mehr oder weniger verfemte Autoren herausgibt, nahm der Verlag zum Anlass. Doch, eine Autorin, die in der DDR als Dissidentin verfolgt und deshalb den Staat verlassen musste, eine streitbare Autorin, der nichts Boshaftes oder Niederträchtiges zu eigen ist, vor die Tür zu setzen, mit dem Hinweis auf das Schicksal des Fischer-Verlages im Nationalsozialismus, ist nicht nur vollkommen Geschichtsvergessen, es ist boshaft und niederträchtig. In jedem Fall ist es an Scheinheiligkeit kaum noch zu überbieten. Man kann inzwischen zusehen, wie einstmals Institutionen mit Charakter zu oberflächlichen Nachbetern und ängstlichen Verfechtern eines sich einebnenden Zeitgeistes werden.


Doch, zurück zum Helden Artur Lanz. Er ist sich bewusst, dass das postheroische Zeitalter eine Schimäre ist, in einer (westlichen) Welt, in der der Mensch und vor allem der Mann um nichts mehr wirklich streiten muss und, man hat manchmal den Eindruck, auch gar nicht mehr will. Schon gar nicht für seine Würde und die eigene Ehre. Doch wie konnte es so weit kommen? Man könnte der Bequemlichkeit, der Dekadenz, der Gesellschaft im Allgemeinen den Vorwurf machen, vielleicht dem Kapitalismus. Die üblichen Worthülsen eben. Entwickelt hat die westliche Gesellschaft der westliche Mann, (der Frauen Beitrag, soll hier nicht unterschätzt werden). Er tat es mit Verve, mit Brutalität, mit Sensibilität und einer in der Menschheitsgeschichte einmaligen Ideenreichtum. Er ist schon seit einiger Zeit damit fertig. Und zwar auch im sprichwörtlichen Sinne. Bis in den hintersten Winkel von allem sind seine Gedanken und Erfindungen vorgedrungen. Jetzt sitzt er etwas bedröppelt und ratlos bis in reife Jahre vor seinen eigenen Spielzeugen. Nur noch dort, so scheint es, kann er ein Held sein. Mit Schwert und Feuer gegen Drachen. Virtuell versteht sich. Oder er mimt den Helden im Beruf. Geld, Ansehen, teure Luxusgüter und auch Frauen, die den Traum von versorgendem Mann nicht beiseite gelegt haben, winken. Doch ist das ein Held?


Viele westliche Männer sind inzwischen mehr als verunsichert. Man darf sich ungestraft über sie lustig machen, sie beleidigen, ihnen alles Unglück der Welt vorwerfen. Ja, man (Frau) sagt ihnen, sie sollen ihre Privilegien prüfen und bitte schön beiseite treten. Wozu sich also anstrengen? Sollen es die anderen eben besser oder eben anders machen. Dies ist vielleicht auch der Ausblick von Arthur Lanz, als er den Trinkern zusieht und ihnen ein schöneres Leben als das eigene bescheinigt. Und der Ausgangspunkt für Charlotte Winter, dem Held und seinem noch befriedeten Umfeld, in dem er negiert oder dekonstruiert wird, nachzuspüren. Es ist die Frage nach dem Befinden des westlichen Mannes in seinem einstigen Revier.


Monika Maron hat ein Buch geschrieben, dessen Tonfall wie immer bei ihr etwas betulich und leise daherkommt. An Eindringlichkeit fehlt es ihm aber nicht. An Lebenserfahrung sowieso nicht. Diese trägt sie aber nicht wie eine Monstranz vor sich her, sondern auf eine ironische, leise, ja fast sentimentale Art. Mit ihren inzwischen über 80 Jahren lässt sie einen nicht nur genauen, sondern mit der Erfahrung der von ihr erlebten Zeit angereicherten Blick auf das hier und heute zu werfen. Wer Augen hat zu sehen, der sehe, wer Ohren hat zu hören, der höre. Diesen Ratschlag der Bibel beherzigt die Autorin schon immer. Damit scheint sie aber zunehmend allein. In einer Zeit, in der sich Dichter Politikern als „Parlamentsdichter“ andienen, ist sie wohl die wahre Heldin.


Das Bild ist eine Szene aus dem Film „Excalibur“ des britischen Regisseurs John Boorman aus dem Jahr 1981.



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