top of page

Kritik zum Theaterstück LENZ des Theaterhauses Jena (2017)

Autorenbild: Jan SchäfJan Schäf

Aktualisiert: 27. Okt. 2021

Nach langer Abstinenz kooperiert das Theaterhaus Jena erneut mit dem Kunstfest Weimar und präsentiert in einem Zimmer des Hotel Elephant „CAMERA OBSCURA : : LENZ; eine szenische Installation für je einen Zuschauer“.


Zunächst sitze ich in einem Liegestuhl. Es ist der 31. August, 19.15 Uhr. Ilmpark, Weimar, nahe beim Schloss. Die Luft ist kühl, mich friert es ein wenig. Dann bekomme ich einen schwarzen Kasten zum um den Hals hängen und Kopfhörer. Damit ausgerüstet sitze ich dann auf einer Bank und warte, bis aus dem Kopfhörer etwas kommt. Der Mann, der mir die technischen Geräte ausgehändigt hat, sagte, dass etwas kommen würde. Ich warte. Schritte auf dem Schotter nähern sich. Ich höre immer noch nichts im Kopfhörer. Die Schritte werden lauter. Wahrscheinlich der Mann, der festgestellt hat, dass ich in den Kopfhörern nichts höre. Jetzt sind sie gleich da, die Schritte, direkt hinter mir. Ich schaue mich um. Doch da ist niemand. Plötzlich eine Stimme aus dem Kopfhörer und ich begreife, dass bereits die knirschenden Schritte daraus kamen. Die Stimme fordert mich auf, die Tür zu nehmen, welche in eine Box führt. Dort sehe ich sie überlebensgroß vor mir. Sophie Hutter. Auf einem Bildschirm. Ich bin elektrisiert. Später werde ich neben ihr auf einem Hotelbett sitzen. Sie wird mir Fragen stellen. Drängende Frage nach dem Sinn meiner Existenz. Ich werde sie nicht beantworten.


Nach der Box laufe ich mit Kopfhörern durch Weimar. An der Ilm, um das Schloss, hinter der Herder-Kirche entlang ins Hotel Elephant. Die Stimme im Kopfhörer leitet mich. Ich fühle mich dabei allein. Leute laufen an mir vorbei. Ich nehme sie kaum wahr. Wie den Autoverkehr. Immerhin, die Stimme im Kopfhörer weist mich auf den Verkehr hin. Der Weg ist kürzer als ich dachte. Bald stehe ich vor dem Hoteleingang. Ich gehe hinein. Die Empfangsdame lächelt wissend. Logisch. Ich habe einen Kopfhörer auf, der nicht nach 21. Jahrhundert aussieht.


Nach Fahrstuhl und langen Gängen auf rotem Teppich stehe ich vor Zimmer 323. Ich öffne die Tür. Ein leeres Zimmer mit zerwühltem Bett.


Wer ist Lenz? Immerhin, in diesem Stück geht es um ihn. Obwohl, sein Name fällt nur im Titel. Jakob Michael Reinhold Lenz, geboren 1751, tot aufgefunden am 4. Juni 1792 auf einer Moskauer Straße. Das Ende eines Mannes, der in seinem Leben nirgendwo ankam. In seiner Jugend lernte er Goethe in Straßburg kennen. Er wurde zu seinem Freund. Zu einem Freund, zu dem Lenz nicht nur wegen seiner geringen Körpergröße aufblickte. Er folgte Goethe über dessen einstige Geliebte Friederike Brion nach Weimar, wurde Teil der wilden Gesellschaft, in der der junge Goethe mit dem noch jüngeren Herzog mit einiger Lust ihre Mitmenschen quälten und dies als Geniewesen bezeichneten. Doch Goethe wurde diesem Treiben schnell müde, war er doch nach Weimar gekommen, um sich zu erden. Lenz muss diesen Gong nicht gehört haben. Während Goethe seriös wurde, beging Lenz eine „Eseley“. Wie Goethe in seinem Tagebuch notiert. Niemand weiß heute genau, was diese Lenzsche Eseley nun gewesen ist, wahrscheinlich ein Affront gegen die Herzogin, eine Anmaßung, die Lenz als inoffizieller Hofnarr glaubte, sich erlauben zu dürfen. Für Goethe jedenfalls Grund genug, die Ausweisung des ihm peinlich gewordenen Freundes zu forcieren. Lenz musste gehen. Er ist nirgendwo mehr richtig ankommen. Was aus ihm hätte werden können, darüber gibt es viele Meinungen. Nicht wichtig, denn es wurde nur ein zielloses Leben, welches früh endete. Eine interessante Geschichte des Scheiterns eines interessanten und vor allem begabten Mannes.


Wie Lenz stolpere ich durch die Stadt. Als Ausgestoßener, Einsamer. Ich sehe wie die Stadt lebt, doch dieses Leben dringt kaum durch. Dafür diese Stimme in meinem Ohr, die Stimme in meinem Kopf: schau dich nicht um, geh weiter. So habe ich Weimar noch nie wahrgenommen. Dieses warme Stück Deutschland, mit seinen Gärten und Schlössern, mit seinen Statuen, deren Gesichter mir so vertraut sind, mit seinem gelben Haus in der Mitte, in dem Goethe lebte, arbeitete, starb. Jetzt erscheint mir Weimar kalt. Nicht nur der herbstlich, kühlen Luft wegen. Die Schritte hinter mir, die näherzukommen scheinen, die Fenster der Häuser, die mich dunkel anblicken, das Schloss, welches mir plötzlich so heruntergekommen erscheint.


Im Zimmer schaue ich mich um. Niemand da. Ich setze mich auf einen der bereitgestellten Stühle. Warte. Nichts passiert. Nach einer Weile stehe ich auf und schaue mich im Zimmer um. Plötzlich eine Frauenstimme. Ich kann nicht ausmachen, woher sie kommt. Auch habe ich nicht verstanden, was sie sagt. Schnell setze ich mich wieder auf den Stuhl. So bin ich eben. Immer ein wenig ängstlich. Sie tritt aus einer Tür, die mir bisher verborgen geblieben ist. Der Badezimmertür. Komisch. Jeden, den ich gefragt habe, hat diese verdammte Badezimmertür gesehen. Nur ich nicht. Egal. Sie kommt heraus, ich verstehe immer noch nicht, was sie sagt. Ich sitze auf meinem Stuhl und fühle mich wie, na ja, wie Lenz, als der Herzog ihm sagte (oder sagen ließ), er müsse gehen. Man hört nicht was gesagt wird, weiß aber, worum es geht. Sie steht in einem weißen Hemd vor mir. Reicht mir die Hand und führt mich in den Raum. Ich muss gestehen, ich bin ein wenig verliebt in diese Schauspielerin. Die Form und Mimik ihres Mundes, ihre Ausdrucksweise, ihr impertinentes Schauspiel, das alles sorgt bei mir regelmäßig für Verwirrung. Jetzt sitzt sie ungefähr zwanzig Zentimeter von mir auf dem Bett und stellt mir Fragen wie: Was aus meinen Träumen geworden ist, wer an mich denkt, wenn ich tot bin usw. Also Fragen, die bei mir für schneidende Gedanken sorgen. Ich könnte sie alle beantworten. Doch ich schweige. Stelle nur fest, dass sie ein wenig Mundgeruch hat. Aber nicht wirklich störend. Zum Schluss fordert sie mich aufzugehen. Ich gehe, vielleicht wie einst Lenz.


In der Lobby des Elephanten sitze ich auf einem bequemen Sofa. Aus der Bar dringen Bargeräusche. Auch: zwei hörbar junge Frauen unterhalten sich lautstark auf Englisch. Langsam trudeln die anderen ein. Es entsteht ein Gespräch, ob man ein Gespräch geführt hat. Ich habe keines geführt. Ich will nur nach Hause. Denn ich fühle mich (aus Gründen) wie Lenz. Einsam, mit verletztem Stolz und Selbstzweifeln. Immerhin. Ich kann nach Hause. Lenz wusste wahrscheinlich nicht, wohin er gehen soll, als er schließlich Weimar verließ.

7 Ansichten0 Kommentare

Ähnliche Beiträge

Comments


© by Jan Schäf. Proudly created with Wix.com

bottom of page