Bereits sechs Mal habe ich am NaNoWriMo teilgenommen. Wikipedia beschreibt den NaNoWriMo so: „NaNoWriMo, oder National Novel Writing Month, ist ein kreatives Schreibprojekt, das im Jahr 1999 von dem Amerikaner Chris Baty ins Leben gerufen wurde. Ziel ist es, während der 30 Tage des Monats November einen Roman mit mindestens 50.000 Wörtern zu verfassen. Trotz seines Namens ist das Projekt längst international geworden, und in vielen Ländern der Welt versuchen jedes Jahr Tausende von Menschen, in 30 Tagen ein Buch zu schreiben. Auf diese Weise wurden während des NaNoWriMo 2009 insgesamt 2.427.190.537 Wörter geschrieben.“

Mein Abenteuer mit dem NaNoWriMo begann 2015. Als Buchprojekt wollte ich damals den dystopischen Science-Fiction-Roman „Das Mädchen und der Wolf“ schreiben, einer Geschichte, die unter dem Eindruck des Computerspiels „The Last of Us“ entstand. Ich schrieb knapp über 40.000 Wörter. Danach war allerdings die Luft aus mir heraus und das Projekt verlief im Sand. Ich habe Aina, meine 15-jährige Hauptheldin, mitten in ihren Abenteuern mit einem riesigen Mutantenwolf allein gelassen. Beide ziehen heute noch durch das Ödland. In den folgenden Jahren ging ich mit dem Projekt „Wanderer am Morgen“ an den Start. Die Geschichte beruht auf einer Stelle im Galaterbrief: „Und so gefiel es ihm jetzt, mir seinen Sohn zu zeigen, damit ich ihn unter den nichtjüdischen Völkern bekannt mache. Als mir diese Offenbarung zuteilwurde, fragte ich nicht erst Menschen um Rat. Ich ging auch nicht nach Jerusalem zu denen, die schon vor mir Apostel waren, sondern begab mich nach Arabien und kehrte dann wieder nach Damaskus zurück. Erst drei Jahre später ging ich nach Jerusalem, um Petrus kennenzulernen.“ Dieser geheimnisvolle Arabienaufenthalt von Paulus (der vielen ein Rätsel ist, sowohl dessen Dauer als auch die Gründe), ist die Grundlage der Geschichte. Gleichzeit wollte ich in einer zweiten Phase über die Anfangstage des Wirkens Jesu erzählen und beide Geschichten in Verbindung miteinander setzen. Doch meine Bemühungen waren von mäßigem Erfolg: 2016 mit 10.815 Wörtern und ein zweiter Anlauf 2017 mit 17.526 Wörtern. Inzwischen ist daraus jedoch ein fertiger Roman von knapp 110.000 Wörtern geworden. In den Jahren 2018 bis 2020 nahm ich mit drei Projekten teil, doch auch hier verfehlte ich die 50.000 Wörter-Marke jedes Mal bei Weitem.
Alle drei Romanprojekte aus diesen Jahren liegen inzwischen auf Eis. Das Erste davon, das den Namen „Die Sterne der Cimbria“ trägt, befasst sich mit dem Untergang des Dampfschiffes „Cimbria“ im Jahr 1883. Das Schiff, ein Transatlantikliner, ist als die „deutsche Titanic“ bekannt. In ähnlicher Zeit spielt das zweite Projekt: „Die Verbindung“. Die Geschichte handelt von einer geplanten Eisenbahnverbindung zwischen zwei Orten in den Anfangsjahren des deutschen Kaiserreiches. Moderne und Tradition treffen unerbittlich aufeinander. 2020 im ersten „Coronajahr“ fing ich den Liebesroman „Zwei im Sommer“ an. Ein absolutes Herzensprojekt, das mir schon ein paar Jahre im Kopf herumschwebt. Doch ich scheiterte. Nun, Scheitern gehört bekanntlich zum Leben und zum Handwerk, vielleicht dienen die entstandenen Seiten ja einmal als Ausgangspunkt, das Buch eines Tages doch noch zu beenden. 2021 ließ ich aus, denn ich widmete mich der Fertigstellung von „Wanderer am Morgen“. Der Roman soll im nächsten Jahr, falls sich kein Verlag findet, wie mein Erstling „Nicht mal in Brasilien“ per Selfpublishing, vermutlich wieder bei BOD, veröffentlicht werden. Dieses Jahr gehe ich mit einem völlig neuen Buchprojekt beim NaNoWriMo an den Start: „Winterbrücken“. Nach SF, Historie und Liebesroman (der auch ein Historienroman ist), möchte ich mit „Winterbrücken“ einen Gegenwartsroman schreiben.
Der Hauptcharakter ist Josef Lindig, von Beruf Grafikdesigner bei einem Verlag, verheiratet mit Svenja, mit der er drei Kinder, einen Sohn und zwei Töchter hat. Doch seine Ehe ist zerrüttet, die Beziehung zu seinem in der Pubertät befindlichen Sohn schlecht, er selbst befindet sich in einer Lebenskrise. Der ärmste. Doch es kommt noch schlimmer. Sein Sohn (13) stürzt mit dem Fahrrad und erleidet dabei ein Schädel-Hirn-Trauma. Die Ärzte müssen ihm die Schädeldecke entfernen, damit das angeschwollene Gehirn Platz hat. Er wird dazu in ein künstliches Koma versetzt. Doch trotz der Notoperation sind die Verletzungen des Gehirns so stark, dass Johannes mit hoher Wahrscheinlichkeit für immer ein Pflegefall sein wird. Josef ist verzweifelt. Dumas Yakubu, sein nigerianischer Kollege, nimmt ihn daraufhin in einen pfingstlerischen Gottesdienst mit. Er wird Zeuge von „Wundern“ wie Zungenreden und der Heilung einer alten Frau. Doch er bleibt skeptisch, er kann nicht an Gott glauben. Am Tag darauf besucht er die geheilte alte Dame und tatsächlich, es geht ihr bereits wieder schlechter. Aber für einen Moment, ja sogar für diesen einen Tag, sagt sie, waren alle Schmerzen wie verpufft.
Josef ruft seinen alten Freund Ludwig an, der früher Atheist und jetzt evangelischer Pfarrer ist. Ludwig zeigt sich ebenfalls skeptisch gegenüber dem pfingstlerischen Heilungswunder. Doch er versichert ihm, Gott erfülle Wünsche. Manchmal reiche dazu ein einziges Gebet. Er kenne einen Menschen, schwerer Alkoholiker, der in einem Kellerloch hauste und auf dessen Arbeit das Bier zum guten Ton gehörte. Doch er wusste, wenn er weiter säuft, wird er in ein oder zwei Jahren tot sein. Er kniete sich deshalb hin, er war bis dahin nicht gläubig und bat Gott um die Befreiung von seiner Sucht. Augenblicklich war er befreit.
Zunächst gerät dieses Gespräch unter der Anspannung von Josefs Ehe wieder in Vergessenheit, doch nach einem verstörenden Traum geht Josef in eine Kirche. Er bittet Gott um die Heilung seines Sohnes. Gleich anschließend fährt er, wie so oft, in die Klinik. Doch bei seinem Sohn hat sich nichts getan. Niedergeschlagen kehrt er zurück nach Hause. Am nächsten Tag erhält er einen Anruf von der Klinik.
Zudem werde ich Josef in eine turbulente Beziehung mit seiner Jugendliebe Mathilde schicken. Ich entschuldige mich schon einmal bei ihm und bei Mathilde. Wie man sieht, hat mein Hauptheld einiges vor sich und wie es endet? Ich weiß es noch nicht. 50.000 Worte sind ohnehin zu wenig für ein solches Projekt. Doch kommt es darauf nicht an. Denn die Idee des NaNoWriMo ist folgende: Besonders Anfänger im Romanschreiben machen oftmals den Fehler, ich spreche aus eigener Erfahrung, die Sache von Anfang an zu „perfekt“ anzugehen. Jeder Satz soll sitzen. Das ist natürlich der Tod des sogenannten Flusses oder Flows. Also des Schreibens ohne inneren Korrektor. Einfach immer der Nase nach. Oder besser: des Schreibens ohne Punkt und Komma. Und das manchmal wörtlich. Hier entscheidet nicht: ist alles stimmig, was ich schreibe, ist es logisch, sind die Dialoge kitschig und/oder unglaubwürdig, funktioniert das in der Realität wirklich usw. Nein, hier entscheidet das innere Räderwerk der Ideen und Einfälle, der Hybris und Verrücktheiten, der Imagination und des Größenwahns. Die Dampflok gewinnt an ständiger Fahrt. Damit erst sind die über 1600 Wörter, die man beim NaNoWriMo täglich schreiben muss, um das Ziel zu erreichen, möglich. Natürlich, es gibt Autoren, die schreiben in einem Monat 100.000 Wörter und lächeln dabei müde, doch es gibt auch Autoren (man sehe George R. R. Martin), die Probleme haben, fünfhundert Wörter pro Tag zu schreiben. 1600 Wörter sind für mich heute nicht mehr die Herausforderung, die sie früher einmal waren. Früher war ich manchmal über 300 Wörter froh. Wie gesagt, drei Viertel der Schreibzeit habe ich mit korrigieren verbracht. Stellen Sie sich eine Dampflok vor, die weder unter Dampf steht und auch niemals einen Bahnhof anfährt. Das sind dreihundert Wörter am Tag.
Also, frisch ans Werk und den dümmsten und gleichzeitig den intelligentesten Tipp für Autoren nicht vergessen: Konflikt, Konflikt, Konflikt. Ebenfalls ein hilfreicher Tipp stammt von George R. R. Martin, der einmal sagte, dass das Geheimnis einer guten Geschichte darin liegt, wie es der Autor schafft, das menschliche Herz im Ringen mit sich selbst zu zeigen. Der ultimative Tipp für Autoren stammt allerdings von Marcel Reich-Ranicki: es interessieren nur Liebe und Tod, alles andere ist Kokolores. Na dann, mal auf ins Getümmel. Ich freu mich.
(Jan Schäf, 2022)
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