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Gevatter Tod (Einleitung)

Autorenbild: Jan SchäfJan Schäf

Aktualisiert: 21. Okt. 2022

Ein Schauerspiel





Ort der Handlung ist: Teutschland


Besuch zur Nacht


Ein Zimmer, ein Stuhl, ein geöffnetes Fenster. Der alte Medicus sitzt auf dem Stuhl und scheint eingeschlafen.


Mich hat die Trauer nie verlassen

obwohl jetzt alles lange her

zermatter mir das Hirn noch immer

wälz mich im Schlaf und schrecke auf

aus Träumen, die, in greller Form

mir jene dunklen Tage wiederbringen.


Wie konnte, frag ich mich so viele Jahre

das Leben, mein Leben, so ohne jede

Anteilnahme an der Welt sich diesem

Ende neigen, und, auch die Welt

mich lange schon ganz ohne Regung sieht

um in Vergessenheit IHM wieder zu begegnen.


So ging ich Jahr um Jahr mit meiner Last

als ich vor langer Zeit die Stadt verließ

die Stadt, ach ja, in der mein Glück begann

in der ich fand, wonach ich hungrig suchte

wovon mit großer Geste ER gesprochen

an einem Tag im März auf meines Vaters Arm.


Der große Krieg lag damals schon recht lange

in diesem einst so schönen, grünen Land

und nach den Heeren mit dem Tod durch Schwert und Feuer

zog ein, die Not, der Hunger und zu guter Letzt

die Pest, als großer grausiger Verweser

zurück blieb SEINE Stille und der verrauchte Rest.


Durch das Fenster fällt ein Sonnenstrahl auf das Gesicht des Medicus. Er öffnet die Augen.


Geisterstimmen (entfernt):

Trübselige Gedanken

gemeine Schranken, du wirst schwanken.

Der Tag vergeht, der Tag verweht,

es folgt die Nacht, die lange Nacht.


Medicus: Die lange Nacht … ach, es ist doch Sonnenlicht

das letzte wohl, doch ich hab schon gedacht

das Licht der modischen Laterne – derer

den Vorteil will ich sagen, so manche Kerze nicht entfacht.


Bin eingeschlafen, verzeih Herr, überm schönen Testament

jedoch, es kann nicht lang, nur kurze Zeit

vielleicht die eine, vielleicht auch zwei

erscheinen tuts mir aber eine Ewigkeit.


Ja, genau, Ewigkeiten könnt ich schlafen

doch stundenweise ists oft nur gelungen

bin müde, bin manchmal ach so furchtbar müde

vom ganzen Tag, die Stunden wahrlich abgerungen.


Vom frühen Morgen bis in den stillen Abend rein

den Tag wie ein Gespenst durchschleich

zerdrückte Brust wie in zu engem Harnisch

und hinter meiner Stirn ein Nebelreich.


Auf der Straße unterm Fenster das abendliche Treiben

im Raum hier oben Zirkel meines Schattenkreis

die Einsamkeit kann ich ganz gut ertragen

doch nur, wenn ich um Nähe andrer Menschen weiß.


Es klopft an der Tür.


Medicus: Heut bitte keine Störung mehr, Frau Martha.

Martha: Herr Doktor, ist noch jemand da.

Medicus: Jemand? Wie soll ich das verstehn?

Martha: Ein Wanderer, sagt er, und will auch nicht mehr gehn.

Medicus: Was soll das? Nen Wanderer will ich heut nicht mehr sehn.

Martha: Genauso hab ich es zu ihm gesagt. Er sagte aber, gute Frau, gebt dem Doktor diesen Brief. Sie solln ihn lesen und auch gleich. Gesagt hat ers, als seis von großer Dringlichkeit.

Medicus (zu sich selbst): Das ist es bei mir immer. Das männliche Geschlecht geht erst zum Arzt, wenns Bein nur noch an einem Faden hängt. Oder eine unverständlich große Kraft den eigenen Willen lenkt. Und dann sagt er, ich soll mich eilen, die Wunde wird schon wieder heilen. Ein Pulver will er, das wird es dann wohl richten. Kein Wunder ists, dass Mannes Reihen, im Alter sich als Erste lichten.

(laut zur Tür): Nun gut, so kommt herein und gebt mir das Papier.


Martha tritt ein, übergibt dem Medicus den Brief und wendet sich zum Gehen.


Medicus: Wie sieht er aus? Was macht der Mann für einen Eindruck?

Martha (innehaltend): Herr Doktor, so recht kann ichs nicht sagen. Doch will ich nicht verschweigen, die ganze Gestalt, der Auftritt auch, er sorgt bei mir für Unbehagen.

Medicus: Hat er den Kragen seines schwarzen Mantels hochgestellt. Und ins Gesicht den Krempenhut gezogen?

Martha: Ihr wisst es?


Der Medicus faltet das Blatt Papier auseinander, liest die Zeilen und faltet es wieder zusammen.


Medicus: Ich hatte diese Ahnung. Die sich nun bestätigt sieht. – Nun denn Martha, lasst den Mann zur Tür herein.

Martha: Ach Herr Doktor. So ein unheimlicher Mann.

Medicus: Das ist er fürwahr. Geschwind. Und bringt mir eine … äh … zwei Flaschen Wein.


Martha ab.


Das darf nicht wahr sein

warum gerade heute Nacht?

ich hab gar nicht damit gerechnet

auch gar nicht drüber nachgedacht.


Ja, das eine oder andre Zipperlein,

die Zeit nagt auch an meinen Zähnen,

die Glieder steif – nur das gewünschte

ich will es nicht erwähnen.


So viel hab ich doch noch zu tun

darunter so ersehnte Dinge

habs immer wieder aufgeschoben

in immer kleiner werdend Lebensschlinge.


Natürlich war es mir auch jeden Tag bewusst

doch wenn der stille Mann dann wirklich fischt

ich habs so oft gesehen in vielen Jahren

das große Leben wie ein Fleck vom Boden aufgewischt.


Ich bin nervös, wie fern ist doch der dunkle Tag

als ich im fieberhaften Wann? und Wo?

mit einem teuflisch Grinsen auf den Lippen

vom Ufer eines dunklen Flusses floh.


Gerade jetzt! Wo sie doch in mein Leben

trat, mein verfluchtes, und wusst ich auch

am Anfang wenig Rat und schritt dann doch zu

einer Tat, dich ich mir kaum noch zugestand.


Geisterstimmen (entfernt):

Der Narr muss gehn

der Narr will stehn

er weiß nicht mehr

es rauscht das Meer, das weite Meer.


Es klopft an der Tür.


Medicus: Es klopft! Herein! Wer will mich diese Nacht noch plagen?

Der Tod (hereinkommend): Zum Plagen bin ich nicht gekommen, ich bin gekommen fortzutragen.

Medicus: Ich weiß, du alte Nervensäge. Muss das heute wirklich sein? Ich bin doch gar nicht vorbereitet. Ein andres Mal wärs mir viel lieber.

Der Tod: Bist du im Fieber? Für den Tod, da muss man nicht vorbereitet sein. Nur anwesend.

Medicus: Und wenn ich nicht zu Hause bin? Dich nur beglück mit einer Büste?

Der Tod: Ich würde lachen über diesen Scherz. Dies würde ich dir sogar gönnen. Doch nützen tuts dir keinesfalls. Ich find dich auch als Sandkorn in der Wüste.

Medicus: Schon gut, schon gut, ich möchte deinen Stolz auf keinen Fall verletzen. Du warntest mich ja schon vor vielen Jahren. Doch zweimal, das muss ich zu meinem Stolz dann aber sagen, gelang es mir, die Beute vom gemachten Totenbett dir abzujagen.

Der Tod: Das will ich dir auch nicht vergessen. Als junger Mann warst du zu stärkren Mächten gern vermessen. Die Angst schien damals nicht die Frechheit deiner Worte und des Tuns zu lenken. Dies hast du wohl von deinem Vater. Der hat Gott höchstselbst im Regen stehen lassen. Ha – ich könnte ewig daran denken! Doch, wirst du überrascht sein. Gekommen bin ich nicht für dich. Gekommen bin ich, als ein Dieb des letzten Lichts.


Der Tod reicht dem Medicus ein Papier. Ludwig nimmt es und liest. Er erbleicht.


Medicus: Warum dieser Name auf dem Papier?

Der Tod: Warum nicht Herr Doktor?

Medicus (verdrossen): Ja, warum nicht? (aufblickend) Willst du mich quälen? Ist es das, wonach du lechzt? Dein Sieg ist dir am Ende nicht genug?

Der Tod: Sieg! Welch großes Wort. Nein, nein, das wäre an mir selbst Betrug. Ich käm ja aus dem Siegen nicht mehr raus. Für mich gibts Tag für Tag doch einen Leichenschmaus.

Medicus: Warum dann dieser Name?

Der Tod: Es ist Zeit.

Medicus: Ich glaube, für deine Rache gehst du hier zu weit.

Der Tod: Meine Rache? Pah, dass ich nicht lache. Als ob ICH rachsüchtig bin. Nein, nein, wenn das so wäre, müsst ich noch mal in die Lehre. Bei mir ists weder Rache noch eine andre Eitelkeit. Bei mir geht es nur um die Gerechtigkeit. Und das verordnet von allerhöchster Stelle. Wie du dich vielleicht erinnern kannst.

Medicus: Ich kann. Nur musste ich gerade das Tor zu neuem Leben auferschließen. Dich sah ich dabei aber nicht zu Füßen. Mir scheint, dass hier nicht allerhöchste Stelle waltet, mir scheint, dass hier wohl jemand selbst gestaltet.

Der Tod: Vorsicht, junger Freund. Vorsicht. Beschuldigungen an den Verkünder schlechter Nachricht, gibt es nicht erst seit König David.

Medicus: Lass sie mir. Bitte.

Der Tod: Warum? Zweimal schon, hast du mich betrogen. Hast aus meiner Nachsicht, den Vorteil rausgezogen.

Medicus: Den Vorteil? Welchen Vorteil? Sieh mich an. Ich bin ein gebrochener Mann. Ich habe keinen Vorteil, wie du wohl selbst ganz genau weißt, aus irgendwas gezogen.

Der Tod: Aber mich betrogen. Das hast du. Zweimal. Erinnere dich an deine List.

Medicus: Ich bitte dich, du hast doch selbst dafür gesorgt, dass man es nie vergisst.

Der Tod: Das habe ich, fürwahr. Nur hier handelt es sich jetzt um den normalen Weltenlauf. Den halten weder Tod noch Teufel auf.

Medicus: Tod und Teufel und der Herrgott selbst. Mein Vater hätte es wissen müssen. Das nimmt doch nie und nimmer einen guten Lauf.


Geisterstimmen (verklingend):

Wer ist der Narr

dem nun gewahr

was er so lange

nicht mehr sah?



© 2022 by Jan Schäf

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