Gedanken zum Kafka-Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ und der ARD-Serie „Kafka“
Vor 100 Jahren starb Franz Kafka. Grund genug, dem, wie man heute politisch korrekt sagt, deutsch/tschechischen Schriftsteller, sowohl einen Film fürs Kino, als auch eine Fernsehserie in der ARD zu widmen.
Franz Kafka war beides nur bedingt, also deutsch und/oder tschechisch, er war insbesondere deutscher Jude und nach 1918 tschechischer Staatsbürger. Aber eigentlich war er der Bürger eines untergegangenen Staates namens Österreich-Ungarn. Ein Staat, mit dem alle Parteien, die in ihm lebten, unzufrieden waren. Die deutschen Nationalisten, die ungarischen Nationalisten, die tschechischen Nationalisten und die Nationalisten aller entfernten Winkel dieses Reiches, welches sich von Böhmen bis Siebenbürgen, von Tirol bis nach Bosnien erstreckte. Städte wie Wien, Prag, Triest, Budapest und zeitweise Venedig (!) lagen in seinem Gebiet. Es war ein uraltes Reich, ein Märchenreich, obwohl erst 1867 gegründet und gerade einmal bis zum Ende des Ersten Weltkriegs dauernd, hatte man den Eindruck, es bestehe schon 1000 Jahre. Und genauso alt schien sein einziger ewiger Kaiser: Franz Joseph I. Das Reich, das einst so ewig schien, verschwand nach 1918 spurlos von der Landkarte und aus den Köpfen der Menschen. Nur noch ein Rauch blieb über dem zusammengeschossenen Mitteleuropa liegen, wie der Rauch des Kanonendonners, der in vier Jahren von 1914 bis 1918 das Ende der europäischen Zivilisation einläutete.
Stefan Zweig setzte diesem Reich, diesem merkwürdigsten aller Staaten, die jemals in neuerer Zeit auf dem europäischen Kontinent existiert haben dürften, mit „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers.“ ein Denkmal. Und ohne dieses Märchenreich gäbe es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch keinen Franz Kafka. Weniger der Vater, weniger auch als die eigene Arbeit in der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt, nein, das Land, in dem er lebte (Prag war zu dieser Zeit K. und K. in einer Nussschale), prägten sein Werk. Kafka selbst war Teil der überbordenden Bürokratie, dem Dschungel aus Verordnungen und Paragrafen, auf denen das Reich auf seinen wackligen Beinen stand. Und wenn man in einem solchen Staat von innen heraus blickt, kann es einem nur als Albtraum vorkommen. Heute wundert man sich über die Humanität dieses Staates, seine europäische Prägung, seine Modernität und Individualität seiner Einwohner. Das sagt natürlich keiner mehr gern. Denn es war auch ein zutiefst konservativer Staat. In seinen Kindern lag schon das Unbehagen, das man in jungen Jahren so einer Spitzendeckchenwelt entgegenbringt. Entgegen bringen muss. Kafkas Vater, noch ein Urbild eines Mannes des 19. Jahrhunderts: strebsam, selbstbewusst, ungeduldig, auch brutal, stand sein zarter Sohn gegenüber, der mit dem ganzen wohlgeordneten Strebertum nichts mehr so recht anfangen konnte. Der Vater ließ es ihn bekanntlich spüren.
Der Film „Die Herrlichkeit des Lebens“, der derzeit in den Kinos läuft und auf dem gleichnamigen Roman von Michael Kumpfmüller beruht, ist ein biederes Stück, der Kafka so zeigt, wie er vermutlich keinesfalls gewesen ist. Aber wie viele Männer in westlichen Filmen heute dargestellt werden. Weinerlich und lebensuntüchtig, ohne Frauen nicht imstande, auf die Toilette zu gehen. Man fragt sich immerzu, wie dieser Mann auch nur eine Zeile zustande gebracht hat. Immerhin, Kafkas Tod ist berührend dargestellt. Die ARD-Serie und auch der Schauspieler, der Kafka darstellt, sind besser. Ja, im Ganzen sogar richtig sehenswert. Durchweg gut besetzt, mit Joel Basman als Kafka sogar auf den Punkt. Drehbuch- und Erfolgsautor David Kehlmann meint sogar, er könne sich Kafka nur noch mit dem Gesicht von Basman vorstellen. Man gibt ihm irgendwie recht. Die Serie ist gelungen.
In ihr gibt einen Moment, der den Inhalt von Kafkas Werk wie in einem Brennglas zusammenfasst. Allerdings nicht im Verständnis der Serienmacher. Man wähnt sich ja unter den westlichen Medienschaffenden auf der Seite der Guten. Die Leute, die eine solche Fernsehserie produzieren, ohnehin. Kafka ist, nach ihrem Verständnis, natürlich auf ihrer Seite. Früher, also wie der Hermann, der Vater von Franz Kafka, das waren die Bösen, die Rückständigen, die, wenn schon keine Nazis, doch Unmenschen, Frauenfeinde und Kolonialisten. So auch der Interviewer Georg Stadtler, der Max Brod anklagende Fragen stellt. Zumindest in der nachgestellten Szene, in der Stadtler als eine Art Roland Freisler (bekanntester Strafrichter des nationalsozialistischen Deutschland, der einem Kafka-Roman geradezu entsprungen scheint), Brod auf die Anklagebank setzt und ihm vorwirft, Kafka für sich auszubeuten. Das Originalinterview von 1968 [https://www.youtube.com/watch?v=HLLoWh45jOA] ist dagegen vollkommen anders. Stadtler führt das Interview mit Rücksicht und ehrlicher Neugier.
Und jetzt kommt es: Die Macher der Serie sind sich nicht zu schade, den inzwischen „umstrittenen“ Philosophen und Groß-Biografen Rüdiger Safranski, der 2024 mit „Kafka. Um sein Leben schreiben“, eine Biografie über den Jahrhundertschriftsteller vorgelegt hat, per Mausklick zu unterbrechen. Ihn anzuhalten und einen Kommentar über dessen Ansicht abzugeben, dass ein Hund nicht merkt, wenn er fotografiert wird. Den Kommentar gibt die Stimme des Hundes aus dem Off ab. Eine Lappalie könnte man meinen, doch nicht in diesem Zusammenhang. Denn Safranski ist der Einzige, der auf diese Weise in der Folge „Kafka und ich“ unterbrochen wird. Rüdiger Safranski, so wird suggeriert, ist ein alter Mann mit rückständigen Ansichten, die eine Klarstellung erfordern. Doch statt im Interview nachzufragen, Widerspruch einzulegen, korrigiert man ihn nachträglich. Die Macher der Serie ahnen natürlich nicht, wie alle, die sich im Recht wähnen, sehen sie ihren eigenen blinden Fleck nicht, dass gerade auch dafür, das Wort „kafkaesk“ erfunden wurde. Gut, dass wir mit Daniel Kehlmann, ohne Frage ein hervorragender Schriftsteller, einen haben, der brav das sagt, was die Redaktion hören möchte. Und dazu noch ein Kafka-Enthusiast, der gar nichts sagt, allerdings viel redet und vor der Kamera einen lächerlichen und peinlichen Konflikt mit dem eigenen Vater inszeniert.
In der Gegenüberstellung der beiden Interviews, das ins Gegenteil verkehrte zwischen Max Brod und Georg Stadtler und dem oberlehrerhaften Einwand im Safranski-Interview, inszenieren sich die Macher der Serie unbewusst als die Wächter, genannt Franz und Willem, die Josef K., ohne dass er etwas Böses getan hätte, eines Morgens verhaften.
Kafka würde, da bin ich mir sicher, atemlos zusehen und danach zum Stift greifen. Er hätte Material.
© Jan Schäf, 2024; Bild: Wikipedia
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