top of page
Suche

„Fairy Tale“ – der neue Roman von Stephen King – eine Rezension

Autorenbild: Jan SchäfJan Schäf

Aktualisiert: 3. Nov. 2022

Die Rezension enthält keine relevanten Spoiler.


Wer ist Stephen King? Die Frage scheint vermessen, denn Stephen King ist immerhin eine der bekanntesten Personen der Zeit. Um es auf einen Nenner zu bringen: Stephen King ist der „King of Horror“. Mit seinen zumeist im Horrorgenre angesiedelten Romanen rangiert er in der Liste der erfolgreichsten Schriftsteller sehr weit oben. Geschätzt wird, dass er insgesamt über 350 Millionen Bücher verkauft hat. Bei inzwischen fast 80 Romanen. Ich gehöre zu seinen Lesern, auch wenn ich nur seine acht Romane der Saga vom dunklen Turm und seine Autobiografie „Das Leben und das Schreiben“ gelesen habe. Beides jedoch mehrmals und mit großem Vergnügen. Besonders seine Autobiografie hat es mir angetan, gibt er in ihr nicht nur Tipps für angehende Autoren, sondern erzählt über sein Leben. Das Leben eines Autors interessiert mich immer. Bei der Stelle, als er als erfolgloser und völlig mittelloser Schriftsteller mit Frau und Kleinkind den Anruf bekommt, dass die Taschenbuchrechte für „Carrie“ für 600.000 Dollar verkauft wurden, drückt mir auch heute noch ein paar Tränchen in die Augen. Nun, „Carrie“ war 1974. Inzwischen ist King längst eine lebende Legende. Als ich hörte, dass sein neuer Roman „Fairy Tales“ heißt (was im Englischen für Märchen steht), war mir klar: Das musst du lesen. Ich entschloss mich dann zum Hörbuch, denn die deutsche Übersetzung liest David Nathan, die deutsche Stimme von Jonny Depp und Christian Bale.




Stephen King erzählt in seinem neuen Roman also ein Märchen. Doch zunächst heißt es darauf warten. Und zwar eine gefühlte Ewigkeit. Denn King startet seinen Roman mit einer Vater-Sohn-Geschichte und einer Großvater-Enkel-Geschichte. Wobei der Hauptheld mit der Großvaterfigur nicht verwandt ist. Beide Geschichten sind berührend. Nach dem Tod der Mutter verfällt der Vater dem Alkohol und Charlie Reade, der 17-jährige Held der Geschichte, muss sich nicht nur um den ständig betrunkenen Vater kümmern, sondern lebt in der permanenten Angst, dass beide aufgrund des inzwischen arbeitslosen Vaters obdachlos werden. Doch, wir sind immerhin in einem Märchen, der Vater findet zu den Anonymen Alkoholikern und schafft es, abstinent zu werden. King verarbeitet in seinen Büchern in nicht ganz unregelmäßigen Abständen die beiden großen Traumata seines Lebens: seinen Autounfall, als er 1999 beim Spazierengehen am Straßenrand von einem Kleinbus erfasst und sich lebensgefährlich verletzte und seine Alkoholsucht, die er auch mithilfe der Anonymen Alkoholiker in den Griff bekam. Seit 1987 ist er trockener Alkoholiker. Er setzt in „Fairy Tale“ der Selbsthilfeorganisation deshalb ein kleines Denkmal.


Im Roman bekommt Charlie gleich ein neues Sorgenkind in Form des mysteriösen Nachbarn Mr. Howard Bowditch. Ein alter Mann, der in einer heruntergekommenen viktorianischen Villa mit seinem Deutschen Schäferhund lebt. Der Schäferhund, so die Meinung von Charlies Freunden, ist eine wahre Bestie. Doch als Charlie den alten Mann schwer verletzt im Garten findet – er ist ganz profan von der Leiter gefallen – stellt sich heraus, dass die Bestie namens Radar ebenfalls alt und grau ist. Die einstige Bestie kann nur noch knurren. Ab nun an kümmert sich Charlie liebevoll um beide, lässt dafür sogar seine sportlichen Ambitionen in Baseball und Football schleifen. Das alles wird ausführlich und sympathisch erzählt, obwohl der in der Ich-Perspektive erzählenden Hautcharakter mit seiner altklugen und, ich nenne es mal „Ja-Okay-Art“ einem manchmal auf die Nerven geht. Eigentlich sind Kinder und Jugendliche eine von Kings Stärken (man denke nur an Jake Chambers aus dem dunklen Turm), doch diesmal wirkt die Figur wie Plastikbesteck. Das wird größtenteils bis zum Ende bleiben. Was dem Roman arg schadet. Denn eigentlich ist die Idee ja klasse, so alt sie auch ist. Ein junger Mensch, hier in Verbindung mit einem Hund, findet den Zugang zu einer anderen Welt, in der die Dinge, die bisher nur in der Fantasie möglich waren, real werden. Sicherlich, schon oft genug erzählt, man denke nur an die großen Klassiker „Der Zauberer von Oz“ oder dessen wundervolle Adaption davon von Alexander Wolkows in der Zauberland-Reihe und natürlich „Alice im Wunderland“. Die Faszination für diese Art von Geschichten ist ungebrochen. Harry Potter beruht ebenfalls auf diesem Konzept.


Doch, wie gesagt, darauf muss man etwas warten. Nach der Großvater-Vater-und-Sohn Geschichte beginnt dann aber doch irgendwann das Märchen im Schuppen des alten Mannes. Dieser Teil fügt sich allerdings nur wenig an den vergangenen an. Am Ende wirkt der Roman fast zweigeteilt. Egal, jetzt geht es also nach „Anderwelt“ oder „Empis“. Ich will nicht zu viel verraten, doch märchenhaft ist dort nichts mehr. Eigentlich will Charlie nur Radar retten, denn der alte Hund wird nicht mehr lange leben und in diesem Märchenreich gibt es eine Sonnenuhr, an der man drehen und wenn man es in die richtige Richtung tut, sich verjüngen kann. Ich wollte schon bei Mr. King anrufen und fragen, wo der Zugang zum Märchenreich zu finden ist. Nene (gängige Redeweise in Empis), das wird er bestimmt nicht verraten. Schade, also weiter: schnell fällt Charlie auf, dass im „Empis“ ein Wahnsinniger regiert, der die Welt und ihre Einwohner systematisch zerstört. Er wird zum Helden werden müssen, um das Böse aufzuhalten. Dabei natürlich eine echte Prinzessin kennenlernen, sich in sie verlieben und dabei große Gefahren bestehen. Soweit so gut. Das Ganze ist in großen, düsteren Bildern gezeichnet, King beschwört die deprimierenden Landschaften von Howard Phillips Lovecraft. Doch im Gegensatz zu Lovecraft fehlt ihnen das Bedrohliche, sondern sie sind nur deprimierend. Wie die ganze Geschichte deprimierend ist. Und, was auch deprimierend ist, King versteht es nur partiell, seiner Welt echtes Leben einzuhauchen. Alles sieht nach einer großen, ach, was rede ich, gigantischen Theaterkulisse aus. King bemerkt das selbst im Lauf der Handlung und sagt, er, also Charlie könne nur das wiedergeben, was nun einmal ist. Natürlich, es gibt sie, die Momente, die unter die Haut gehen, insbesondere, wenn das Leben des Protagonisten wieder einmal am seidenen Faden hängt und nicht viel Aussicht besteht, dass er der Situation entrinnen kann. Insgesamt wirkt der Roman jedoch merkwürdig hölzern und ja, tatsächlich auch faul. Wenn zwei der gefährlichsten Gegner des Helden kurz hintereinander auf die gleiche, recht banale Weise ins Gras beißen müssen, dann ist das faul und ohne Raffinesse. Und das ist auch das Fazit, welches ich ziehe. King, der zwar ein Meister der Raffinesse sein kann, es auch oft genug bewiesen hat, legt hier einen Roman vor, der fast gar keine hat. Und damit vorhersagbar und in großen Teilen schlichtweg langweilig ist. Da reißt David Nathan, der seine Lesung fast in ein Hörspiel verwandelt, nichts mehr raus. Das Ende hätte zudem überraschend sein können, und zwischenzeitlich habe ich das auch vermutet, King hätte einen Bogen zum Anfang der Geschichte schlagen und damit der langen Anfangserzählung einen größeren Sinn geben, doch auch da wurde ich leider enttäuscht. Da kann ich nur sagen: Es war einmal.


Jan Schäf (2022)



17 Ansichten0 Kommentare

Ähnliche Beiträge

Comments


© by Jan Schäf. Proudly created with Wix.com

bottom of page