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Hier stehe ich …

Autorenbild: Jan SchäfJan Schäf

Die Luther-Serie des DDR-Fernsehens von 1983 neu angesehen


Zum 500. Geburtstag des Reformators (2017 wurde dann in einer schon ganz anderen Zeit 500 Jahre Thesenanschlag gefeiert), drehte das DDR-Fernsehen eine bemerkenswerte fünfteilige Serie über Martin Luther. Im Westen Deutschlands reichte es damals nur zu einem heute (zurecht) vergessenen Spielfilm von Rainer Wolffhardt. Das erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Der atheistische Staat DDR würdigte Luther mit einer aufwendigen Fernsehserie, während man in der immerhin noch äußerlich christlichen Bundesrepublik einen in wenigen Tagen gedrehten und recht lieblosen Spielfilm präsentierte.


Die fünfteilige Serie zeigt die verschiedenen Lebensstationen Luthers in den zehn Jahren vom Thesenanschlag 1517 bis zum Ausbruch der Pest in Wittenberg 1527. Ulrich Thein spielt in der Rolle des Luther unter der Regie von Kurt Veth. Thein war zuvor erst seit Kurzem wieder vor die Kamera getreten, nachdem er jahrelang selbst erfolgreich Regie geführt hatte. Die Serie vereinte zudem einige der bekanntesten Fernsehstars der DDR. Mit modernen Serien heutigen Zuschnitts, lässt sich diese Serie allerdings kaum vergleichen, sowohl im Guten wie im Schlechten. So fehlen der Serie sichtbar aufwendige Außenaufnahmen und Massenszenen. Wenn es überhaupt einmal eine Totale von wichtigen Orten gibt, dann die der Wartburg, doch sie wird ausschließlich aus der Ferne gezeigt. Die Drehorte befinden sich mehrheitlich in Innenräumen, auf Feldwegen oder in Schlosshöfen. Was auffällt, ist der erdige Charakter der Serie, die etwa dem Lutherfilm von 2003 mit Joseph Fiennes in der Hauptrolle fehlt. Alles ist ein wenig dunkel und schmutzig. Auch frisch gedruckte Bücher sehen aus, als hätten sie bereits ein paar Jahrhunderte im Museum zugebracht. Die Menschen baden selten. Das alles wird allerdings nicht ins Absurde übertrieben. Es ist, wie sich der moderne Mensch eben das späte Mittelalter so vorstellt.


Der Fokus der Serie liegt auf den Dialogen. Und damit wären wir bei den Stärken. Obwohl die Figuren zum Teil doch sehr holzschnittartig daherkommen: Luther schreit praktisch die ganze erste Folge, Johann Tetzel ist ein dreister Lügner und korrupt, Philipp Melanchthon ein Weichei, Friedrich der Weiße so, wie ein DDR-Bürger sich einen Adligen vorstellt oder vorzustellen hatte, Eck eine hinterhältige Ratte und Cajetan (Arno Wyzniewski wie immer herrlich diabolisch) der herrschsüchtige Vertreter des Papstes und nach Lesart Luthers, des Antichristen. Diese schablonenhafte Einordnung tut der darstellerischen Leistung in der Serie keinen Abbruch, muss doch jede Erzählung in Abwägung tatsächlicher Ereignisse oder Charaktere symbolisieren und zusammenfassen. Die heute so oft gefeierten Grautöne, die moderne Serien zu eigen sein sollen, finden sich aber auch hier. Luther verwandelt sich in der Serie etwa vom finster blickenden Schreihals zu einem liebenden und dem Leben zugewandten Menschen. Obwohl das äußerlich nicht dargestellt ist: vor dem Reichstag in Worms trat Luther nach Aussagen seiner Zeitgenossen als blasser und abgemagertes „Mönchlein“ auf, zehn Jahre später, Ehemann, Vater von Kindern und Reformation, sah man ihn mit ordentlichem Leibesumfang. Ulrich Thein bleibt sowohl alters- als auch gewichtsmäßig immer der gleiche. Nicht mal ein Kissen als simuliertes Bäuchlein steckte man ihm zu Ende der Serie unter die Sutane.


Der inhaltliche Fokus der Luther-Serie, liegt nicht auf religiösen Fragen, insbesondere den Fragen zur reformatorischen Erkenntnis Luthers, Fragen zum Abendmahl, der Heiligen- und Marienverehrung sowie dem Klosterwesen. Das zwar auch, doch geht es vordringlich um die soziale Frage der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Aus diesem Blickwinkel erscheint Luther als der Anstoß zu einer Entwicklung, die die Ungerechtigkeit des Feudalismus sichtbar machte, den Reichtum und die Dogmatik der Kirche anprangerte und die Leibeigenschaft der Bauern als Ungerechtigkeit brandmarkte. Das stimmt auch alles. Allerdings will die Serie, speziell im fünften Teil, dies aus dem Blickwinkel der Geschichtsauffassung der DDR sehen, die in der Verwirklichung des Sozialismus auf deutschem Boden, die Geschichte selbst zu einem guten Ende gekommen sah. Deswegen stand auch nicht Luther, sondern Thomas Müntzer, als Anführer des Bauernheeres in der Schlacht bei Frankenhausen, als früher Sozialrevolutionär im Fokus der DDR Geschichtsschreibung. Dass er hauptsächlich ein fanatischer Endzeitprediger war, der, wenn er die Macht ergriffen, sicherlich Robespierresche Züge angenommen hätte, wurde in damaligen Heroisierung seiner Person geflissentlich übersehen. In der Serie merkwürdigerweise nicht. Frank Lienert-Mondanelli gibt der Figur fanatische Züge, die in dem größenwahnsinnigen Auftritt vor den auf der Seite Luthers stehenden Fürsten, die Müntzer in Wirklichkeit nicht ohne Wohlwollen entgegentraten, gipfelten. Überhaupt wird der Beziehung der beiden und ihrem Konflikt deutlich mehr Raum gegeben, als dem tatsächlich stattgefundenen Großkonflikt innerhalb der Wittenbergischen Reformatoren zwischen Luther und Karlstadt.


Nicht verwunderlich ist deshalb, dass man Luthers inneres Ringen um die Frage, wie Gott zur Ungerechtigkeit der Welt steht, große Aufmerksamkeit widmet. Wie kann der Knoten gelöst werden, dass die Bibel einerseits die Unterordnung unter die Obrigkeit, als auch die andere Wange fordert, andererseits die weltlichen Herrscher aber auch verwirft und Gott allein die Ehre gebührt. Auch Luther weicht dieser Frage mit seiner Zwei-Reiche-Lehre ein wenig aus. Seine Sicht der Welt gipfelt in der genialen Szene, als er vor dem bewaffneten Bauernheer: „Leid, Leid, Kreuz, Kreuz“ fordert, also die Unterwerfung. Diese fragen ihn natürlich nach der von ihm postulierten Freiheit des Christenmenschen und wenden sich später ab und rufen Luther zu, dass sein Evangelium nicht das ihre wäre. Nur wenig später wird das Bauernheer mit seinem Anführer Thomas Müntzer von den Truppen unter der Führung des kurfürstlichen Feldobersts Aschwin von Cramm (was für ein Name!) niedergemetzelt. Immerhin, die „bösen“ Adligen hätten die Bauern wohl verschont, wenn sie ihnen den Müntzer ausgeliefert hätten. Was die Bauern allerdings ablehnten. Das wird natürlich in der Serie mit keiner Silbe erwähnt. Immerhin lässt man Friedrich den Weißen, der zum Zeitpunkt der Ereignisse auf dem Totenbett liegt, sagen, dass man den Forderungen der Bauern vielleicht Gehör schenken sollte. Das ist übrigens keine Erfindung der Serie. Nur Luther blieb hart und schrieb eine seiner berühmt-berüchtigten Schmähschriften: „Wider die Mordischen und Reubischen Rotten der Bawren“. Allerdings wird auch hier ausgelassen, dass Luther sich zunächst gegenüber den Bauern zurückhielt und erst seine Meinung änderte, als am 17. April 1525 vor den Toren der Stadt Weinsberg, Graf Ludwig von Helfenstein und seine Begleiter durch aufständische Bauern ermordet wurden. Eingegangen in die Geschichte als Weinsberger Blut-Ostern. Luther ließ jedenfalls seiner Wut freien Lauf und schrieb in seiner unvergleichlichen Weise: „… man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss …“.


Mitten in diesen Wirren heiratet Luther die ehemalige Nonne Katharina von Bora (sexy wie immer: Barbara Schnitzler). In der Serie sieht es wie ein Rückzug ins Private aus, nachdem die großen Hoffnungen der „Frühbürgerlichen Revolution“, wie der Bauernkrieg in der DDR genannt wurde, sich nicht zu erfüllen scheinen. Am Ende mahnt der Serien-Luther in einer eindringlichen Szene in den Armen von Katharina zum Frieden. Doch Luther war kein Sozialrevolutionär, obwohl er die soziale Frage seiner Zeit im Blick hatte. In der letzten Folge der Staffel, in der Luther, mit Fieber und Bettlägerigkeit (tatsächlich erfolgte Ende der 1520er-Jahre ein völliger Zusammenbruch), auch auf den Tod Müntzers und der Bauern reagiert, kommt noch einmal eine der zentralen Fragen Luthers in den Blickpunkt. Es war seine Lebensangst. Kann ich als Mensch vor Gott gerecht werden? Komme ich ins Gericht Gottes, gar in die Hölle für meine Sünden? Die ich, so Luthers Bekenntnis, ja täglich begehe. In seinem Turmerlebnis hatte er die helle Einsicht, die schwarz auf weiß im Paulusbrief an die Römer steht: Der Mensch wird allein durch Glauben vor Gott gerechtfertigt. Das ist die reformatorische Erkenntnis, die Luther so befreite, ihn zu einem anderen, erneuerten Menschen machte, wie er späte sagte. Doch nun scheint er sich nicht mehr sicher, in der Fieberszene wird Luther von Anfechtungen angegriffen, in der er an seiner Lehre, ja am Glauben selbst zweifelt. Das ist nicht übertrieben. Diese Anfechtungen begleiteten Luther bis zu seinem Tod.


Die Frage ist, lohnt sich die Serie heute noch zu schauen? Derzeit gibt es alle fünf Folgen bei Amazon für 10 Euro. Ich habe die Serie bereits als Kind zusammen mit meinen Eltern gesehen. Die schauspielerische Leistung, die fast durchgängig hervorragenden Dialoge, die moderne und gelungene Kameraarbeit und ein spannungsgeladener Erzählbogen, sind auch heute noch sehenswert. Die politische Einfärbung hält sich bis zur fünften Folge in Grenzen. Zentrale Gestalt ist natürlich Ulrich Thein. Es stört nicht, dass er für die Rolle eigentlich 20 Jahre zu alt ist. Luther war 28 Jahre alt, als er auf dem Reichstag zu Worms 1521, der Obrigkeit die Gefolgschaft verweigerte. Ulrich Thein zum Zeitpunkt, als er die Rolle spielte, schon über 50. Das macht er durch seine engagierte Darstellung mehr als wett. Seine Augen sind stets an einen unbestimmten Ort gerichtet, seine Mimik zwischen Verzweiflung und Seligkeit ist stimmig. Die Zornesausbrüche meistens glaubwürdig. Und wenn er auf dem Disput von Leipzig dem arroganten Eck mit einem Blumensträußchen eher abwesend entgegentritt, ist das sogar denkwürdig.


Alles in allem ist die Serie eine, die man auch heute noch mit Freude sehen kann. Selbst der doch recht behäbige Handlungsaufbau, die ausufernden Dialoge, in der auch mal Pausen gemacht werden, um die Reaktion auf den Gesichtern einzufangen. Auch die allerdings nur leicht politische Einfärbung stört kaum. Insgesamt gehört die Luther-Serie von 1983 zu einer der besten DDR-Serien überhaupt. Und da gab es einige gute. Man kann sogar sagen, dass sie neben der Serie „Das Boot“ von Wolfgang Petersen (welche allerdings noch einmal in einer ganz eigenen Liga spielt), zu einer der besten deutschen Serien überhaupt zählt. Auch nach nun fast 40 Jahren seit ihrer Ausstrahlung.


Jan Schäf (2022)



26 Ansichten1 Kommentar

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1 Comment


Kerstin Deutsch
Kerstin Deutsch
Feb 24, 2022

Super Einschätzung von Dir und vielen Dank für Deine guten Gedanken zu den Folgen, sie sind eine Bereicherung. 😊 Allerdings steige ich teilweise nicht so tief dahinter. Tatsächlich habe ich die Folgen ebenfalls gespannt angesehen (zum ersten Mal), obwohl ich das Laute von Luthers Aussprache als schmerzhaft empfand. Zu den Worten von Jesus, die in der Bibel stehen: " ... wenn Dich einer schlägt, dann halte auch die andere Wange hin..." - dies ist in den fünf Filmen nicht als eine Stärke von Luther dargestellt worden - der zornige Luther war für mich eine Überraschung.

Die Erkenntnis Luthers, dass man vor dem Herrn allein durch den Glauben an Jesus, den Herrn und den heiligen Geist gerechtfertigt wird, kommt im Film zu…

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