Stephen King betont in seinem Buch „Über das Leben und das Schreiben“, das zur Hälfte ein Schreibratgeber ist, als Autor solle man sich lieber nicht mit dem Lesen dergleichen abgeben, sondern einfach schreiben. Auf den ersten Blick: recht hat er. Warum gibt er dann selbst Tipps fürs Schreiben? Nun, als ein Schriftsteller, der das Privileg hat, zu jenen zu gehören, dessen Leserschaft oft auch eine Anhängerschaft ist, die gerne, wie er schreiben würde, ist das Verlangen ebendieser Anhängerschaft groß, vom Meister selbst sein Geheimnis zu erfahren. Und auch ein Stephen King hat noch seine Eitelkeiten. Äh, apropos, des Meisters Geheimnis? Liegt das nicht offen zutage? Man muss doch bloß seine Bücher lesen, um zu wissen, was sein „Geheimnis“ ist. Aber so läuft das nicht, obwohl es eigentlich so laufen könnte. Wenn Sie ein Schriftsteller werden möchten, lesen Sie die Besten der Besten, die erzählenden Genies und dann versuchen Sie sie einfach nachzuahmen. Irgendwann einmal, das kann ich so gut wie versichern, entwickeln Sie Ihren eigenen Stil und im besten Fall, wird es ein eigener großartiger Stil sein, der die Erkenntnis der Großen in sich trägt und etwas Neues, vielleicht sogar spektakuläres versucht. Die schlechte Nachricht ist, gelingen tut das nur sehr, sehr wenigen. Also einen spektakulären, neuartigen Stil zu entwickeln. Aber, und das ist wieder die gute Nachricht, wen interessiert’s. Außer ein paar Literaten niemanden, die meisten Leute wollen hauptsächlich ein Buch lesen, das sie nicht langweilt. Einen Klassiker lesen und dann selbst einen schreiben, nein, so einfach kann es doch nicht laufen. Aber, warum eigentlich nicht? Nun, weil für die meisten, die mit dem Schreiben anfangen oder motiviert sind, nun endlich den Roman zu schreiben, den sie schon immer schreiben wollten, „einfach losschreiben“ so verdammt anstrengend ist. Ein riesiger Berg mit eisigen Kraten und fiesen, verdammt tiefen Klüften. Man schreibt ein paar Zeilen mit diesem Wissen im Hintergrund, liest sie dann, und oh weh, was für ein Murks. Klingt ja fast wie mein Klassiker, doch irgendwie stinklangweilig, dazu voller Rechtschreibfehler und die Grammatik ist wirklich übel. Enttäuscht wendet man sich vom eigenen Text ab und … na klar, Schreibratgebern zu. Der Typ oder die Typin hat vielleicht einen unschlagbaren Tipp, wie ich einen großartigen Text verfasse. Und außerdem, ich habe einen wirklich wichtigen Grund, nicht schreiben zu müssen. Einen wirklich bedeutungsvollen Grund. Weiterbildung nämlich! Sonst waren meine Gründe immer, dass mein Bad unbedingt geputzt werden müsste. Und dann schreibt der Ratgeber auch, keine Bange mein Freund, Schreiben ist ein Handwerk, das man erlernen kann. Immer ruhig Blut, Schreiben kann praktisch jeder. Ein paar Jahre später, vielleicht 80 oder 100 Seiten geschrieben, den x-ten Romananfang verfasst, zum x-ten Mal überarbeitet, alle Schreibratgeber des Planeten gelesen, stellt man fest, verdammt, die Typen haben mich belogen, Schreiben ist gar kein Handwerk, das ich erlernen kann, Schreiben ist nicht, in angesagten Cafés zu sitzen, Schreiben ist schon gar nicht, sich mit anderen in irgendwelchen Social-Media-Kanälen darüber zu unterhalten. Schreiben ist auch nicht, das 10 Schreibprogramm und die hundertste Schrift zu probieren, die man für die richtige Stimmung benötigt. Schreiben ist Arbeit, mühsame Arbeit, verdammt mühsam, verspricht sehr wenig Erfolg, das meiste landet in der Schublade, gar im Papierkorb oder unlektoriert per Selfpublishing. Und gestern habe ich gelesen, lesen ist out, kein Schwein liest mehr. Alle schauen nur noch Netflix. Deprimierend. Aber warum steht in dem Schreibratgeber, ich brauch bloß deren roten Faden zu folgen, dann läuft es wie am Schnürchen. Bald werde ich aus einer Limousine steigen und die Leute werden jubeln. Oder so ähnlich. Sind also Schreibratgeber schlechte Ratgeber? Auf den ersten Blick haben diese Ratgeber und mit ihnen die Creative Writing Workshops insbesondere in den USA, inzwischen auch darüber hinaus, die Literatur vollkommen versaut. Generische Handlungen vom Reißbrett, langweilige, vorhersagbare Typen (und Typinen), Schablonen gleich, die ständig irgendetwas tun, was nicht vorhersagbar, aber völlig dämlich ist, View-Points und Cliffhanger aller Orten, Dialoge so „echt“ wie im echten Leben (zur Erholung lese ich dann immer Dialoge von Thomas Mann), und, inzwischen eine echte Seuche, die berühmt-berüchtigte Woknes. Alles englische Begriffe, ich weiß, aber der ganze Mist kommt auch von da. Wenn ich einen Rat geben kann, lesen Sie niemals einen Schreibratgeber. Das versaut und hält einem vom Schreiben ab. Lesen Sie lieber einen Roman von Dosto, ein paar Kurzgeschichten von Anton Tschechow oder am besten Michel Houellebecqs Roman „Karte und Gebiet“. Dann wissen sie alles. Vielleicht noch den einen oder anderen Klassiker wie Robinson Crusoe oder Wilhelm Meisters Lehrjahre von Goethe. Für die ganz Hartgesottenen reicht eigentlich James Joyces „Ulysses“. Das sind Schreibratgeber! Und ich sagte Ihnen etwas: Die machen zusätzlich auch noch glücklich. Im Gegensatz zu den Schreibratgebern, die sich als solche ausweisen. Die machen nämlich ein schlechtes Gewissen, wie: Du fauler Sack, drückst dich wieder, heute keine einzige Zeile geschrieben. Und, zum hundertsten Mal: Ich soll meine verdammten Adjektive löschen. Meine schönen Adjektive! Ich solle so geniale Sätze weglassen: Die bezaubernde Josefine, mit ihrem gelben Kleid und der blütenweißen Bluse, mit ihrem kirschroten Mund und ihren meerblauen Augen hauchte zu dem ihr riesengroß erscheinenden Nicola die bezaubernden Worte: „Ich liebe dich mehr, als es Sterne am Himmel gibt.“ Die sagen mir, das wäre Kitsch. Verdammt noch mal, was geht die das an. Ich sage Ihnen noch was: nichts. Weder geht das einen Schreibratgeber etwas an, noch einen gelangweilten Lektor. Na ja, den dann doch, er soll mein Werk ja später lesetauglich machen. Aber trotz allem: Niemanden geht es etwas an, was Sie schreiben. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf. Lassen Sie ihre Protagonisten kitschige Dinge sagen, wenn es ihnen glaubwürdig erscheint, dass sie es in dieser Situation einfach sagen müssen. Weil Josefine in diesem Moment eben unsterblich verliebt in Nicola ist. Blenden Sie aus, was Ihnen andere sagen, was Sie beim Schreiben bitte schön zu tun und zu lassen haben. Denn die müssen den Text ja nicht schreiben. Seien sie verschwenderisch mit Adjektiven, ich mache ihnen sogar Mut extra welche einzubauen, die Sie gar nicht vorhatten, zu verwenden. Wenn das Buch ein Knaller ist und es als solches von einem Lektor erkannt wird, streicht der ihnen schon alles raus. Leider. Denn die Qualität eines Textes hängt nicht davon ab, ob Adjektive, verbrauchte Plattitüden, seitenlange Erklärungen des Protagonisten und verdammt zufällige Zufälle drin sind, sondern, ob der Leser an Ihren Lippen hängt, ob er eben nicht genervt von den Plattitüden ist, sondern instinktiv spürt, dass diese sich am richtigen Ort befinden. Auch ich habe Schreibratgeber gelesen und zwei sehr sympathische Onlinekurse zum Thema mitgemacht. Das tut man als einer, der gerne schreibt. Man will motiviert werden, auf eine Idee kommen, die einem bisher nicht gekommen ist, ohne vorher die Brüder Karamasow lesen zu müssen. Und tatsächlich, ich habe etwas gelernt. Doch habe ich mich auch zu oft darauf verlassen. Statt zu schreiben, habe ich übers Schreiben gelesen. Statt mich über eine schwierige Textstelle zu machen, habe ich in einem Schreibratgeber ein Rezept dafür gesucht. Und tatsächlich auch gefunden. Doch es wäre besser gewesen, ich hätte es allein herausgefunden. Mein Rat: Schreibratgeber sind keine schlechten Ratgeber, aber offen gestanden, versuchen Sie es ohne. Nur, wenn sie gar nicht weiterkommen, lesen Sie maximal einen davon. Es ist übrigens egal, welchen, sie schreiben alles das Gleiche. Schreibratgeber ist wie wandern mit Karten-App, man verlässt nie die vorgegebenen Pfade, wird ängstlich vor dem dunklen Wald, weil die App sagt, nein nein, nur hier entlang. Alles andere: ganz böse. Doch seien wir ehrlich, im Wald wartet doch der große, böse Wolf. Wollen sie wirklich nicht gefressen werden?
Sind Schreibratgeber schlechte Ratgeber?
Aktualisiert: 21. Okt. 2022
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